Mössinger Generalstreik
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Rehabilitierung und Schweigen

1948 wurden die Urteile gegen die Teilnehmer des Generalstreiks von 1933 aufgrund der „Rechtsanordnung zur Beseitigung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege“ aufgehoben. Als der ehemalige Konsumkassier Martin Maier 1954 gegen das Landesamt für Wiedergutmachung in Tübingen auf Haftentschädigung für die nicht in vollem Umfang angerechnete Haftzeit klagte, gab ihm das Landgericht Tübingen Recht. Zudem sah es den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Vorgehen des Streikenden gewahrt. In der Begründung wurde der Streik sogar als legitime Maßnahme beschrieben, die – wie 1920 der Generalsstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch – durchaus Erfolg versprechend hätte sein können. Das Gericht hielt fest: „Wäre die Aufforderung zum Generalstreik überall befolgt worden, so wäre diese Maßnahme durchaus geeignet gewesen, das angestrebte Ziel, die Regierung Hitler lahmzulegen und zum Rücktritt zu zwingen […]“.

 

Gegen dieses Urteil ging das Landesamt für Wiedergutmachung in Tübingen vor dem Oberlandesgericht Stuttgart in Berufung. Doch das höchste Gericht des Landes Baden-Württemberg bestätigte das erstinstanzliche Urteil 1955 und bekräftigte nochmals den Tatbestand einer politischen Verfolgung, die nach dem Argument des Klägers im Strafurteil von 1933 fehlte. Das Oberlandesgericht urteilte zudem, dass „der aus Überzeugung geleistete Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft […] ein Verdienst um das Wohl des Deutschen Volkes“ sei.  Im zeithistorischen Kontext des Kalten Krieges ist dieses Urteil als außergewöhnlich einzuordnen und erklärt sich sehr wahrscheinlich aus der vom damaligen Stuttgarter Oberlandesgerichtspräsidenten Richard Schmid kurz zuvor in einem Aufsatz veröffentlichten positiven Begründung des politischen Streikrechts.

 

Der rechtlichen Rehabilitierung der Generalstreikteilnehmer folgte dann aber keineswegs die persönliche. In der jungen Bundesrepublik war der Mössinger Generalstreik wenig bekannt, und am Ort des Geschehens selbst wurde er von den Nichtbeteiligten als Makel angesehen, über den man hinter vorgehaltener Hand – wenn überhaupt – als „Mössinger Aufstand“ sprach.

 

Für ein erstes Gedenken anlässlich des 25. Jahrestages im Jahre 1958 kam die Initiative von außen. Die „Vereinigung für die Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) Baden-Württemberg organisierte für den 1. Februar 1958 im Lammsaal in Mössingen eine Feierstunde. Einladungen gingen an den Bürgermeister und den Gemeinderat sowie per Wurfsendung an alle örtlichen Haushalte. 250 Teilnehmer, darunter auch Bürgermeister Rühle, folgten ihr. Der für die musikalische Gestaltung des Abends angefragte Musikverein Mössingen sowie der Liederkranz Belsen blieben der Veranstaltung dagegen fern. Die musikalische Gestaltung übernahm stattdessen die Musikkapelle des Nachbarorts Nehren. Als Mössinger Redner trat der ehemalige KPD-Vorsitzende Martin Maier neben dem VVN-Landesvorsitzenden Alfred Hausser auf.

 

In den folgenden Jahrzehnten fanden keine Gedenkveranstaltungen mehr statt. Der Generalstreik war kein Thema. Als im Jahre 1973 das „Mössinger Heimatbuch“ erschien, wurde der Mössinger Generalstreik unter dem Kapitel „Das politische Leben“ lediglich in einem Satz erwähnt. Der Wortlaut bringt das Unverständnis des Autors über die Aktion zum Ausdruck: „Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler Reichskanzler. Die [Mössinger] Linken sahen dies als Unglück für das Reich an und versuchten durch Putsch und Streik noch eine Wendung in letzter Stunde herbeizuführen.“

 

Bei der 1974 stattfindenden Stadterhebungsfeier des inzwischen 13 600 Einwohner zählenden Ortes wurde die neugeschaffene Bürgermedaille als erstem Träger Jakob Stotz verliehen. Die Begründung erwähnt lediglich „seine persönlichen Verdienste, die er sich in uneigennütziger Weise nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 für die Gemeinde und ihre Bürger und nicht zuletzt beim Wiederaufbau der Gemeinde erworben hat“. Seine Vita vor 1945 bleibt unerwähnt, was die Ambivalenz dieser Ehrung verdeutlicht. Beim großen Sommer-Stadtfest anlässlich der Stadterhebung stellte der Historische Festzug mit 30 Wagen und 250 Mitwirkenden im historischen Kostüm Stationen der Stadtgeschichte von der Steinzeit bis zur jüngsten Gegenwart dar  – der Mössinger Generalstreik war nicht dabei.