Mössinger Generalstreik
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Linker Widerstand

Der Mössinger Generalstreik entsprang dem spontanen Protest des örtlichen Arbeitermilieus. Mit der Machtübernahme der Nazis sahen die Mössinger Linken ihre jahrelang erarbeiteten Errungenschaften, ihr Vereins- und Kulturleben, in Gefahr und befürchteten, Opfer der neuen Machthaber zu werden. Mit der Teilnahme am Generalstreik wollten sie ein Zeichen setzen. Erst im Laufe der Protestaktion wurde ihnen klar, dass es an dem Tag keineswegs zu einem flächendeckenden Generalstreik gekommen war. Dies dürfte den Streikenden spätestens am Nachmittag bewusst geworden sein, als ihnen die Reutlinger Schutzpolizisten auf der Bahnhofstraße entgegentraten. Die Streikteilnehmer in Mössingen waren davon ausgegangen, Teil einer reichs- oder landesweit organisierten Aktion zu sein. Dieses Selbstverständnis gibt ihrem Protest eine besondere Bedeutung. Hinzu kommt, dass sich in dem 4.000-Einwohner-Dorf am Fuße der Schwäbischen Alb vergleichsweise viele Personen beteiligten: Am Ende zählte man etwa 800, nach Zeitungsberichten sogar bis zu 1.000 Menschen, was in Relation zur Ortsgröße eine beträchtliche Zahl darstellt. Der Demonstrationszug am Tag nach der „Machtergreifung“ kann deshalb als einzige Aktion dieser Art reichsweit gelten. Die Generalstreikteilnehmerin Anna Renz brachte diesen Sachverhalt in einem Interview 1978 auf den Punkt, als sie sagte: „Do isch neane nonz gwä als wie do“ – „Da ist nirgends nichts gewesen außer hier“.

 

Es hatte unterschiedliche Gründe, dass der KPD-Aufruf nicht befolgt wurde, obgleich er sich reichsweit über die eigene Anhängerschaft hinaus an die Gegner der Nationalsozialisten richtete. Eine Ursache liegt in der Konfrontation der „feindlichen Brüder“ KPD und SPD. Zwar hatten sich Kommunisten und Sozialdemokraten zu diesem Zeitpunkt schon seit längerem gegen die Nationalsozialisten zur Wehr gesetzt. Doch beide Parteien waren zugleich um die Abgrenzung ihrer eigenen Positionen bemüht. In Mössingen wurde dagegen wahr, was auf Reichsebene unmöglich erschien: Ein geschlossenes Auftreten der Arbeiterparteien. Auch in einigen anderen Orten kam es am Abend des 30. Januar 1933 und am folgenden Tag zu Kundgebungen und Auseinandersetzungen zwischen – zumeist jungen – Sozialisten und Kommunisten einerseits und Nationalsozialisten andererseits. Dabei handelte es sich in den meisten Fällen um konkurrierende Aufmärsche und Schlägereien. So mündete ein abendlicher Fackelzug der Nationalsozialisten und des „Stahlhelm“ in Pforzheim am 31. Januar 1933 in gewalttätige Auseinandersetzungen mit 30 bis 40 Anhängern der KPD. In Göppingen wurde eine KPD-Versammlung, die versucht hatte, zum „Massenstreik“ aufzurufen, von der Polizei gewaltsam aufgelöst. In Stuttgart hatten etwa 40 Kommunisten erfolglos versucht, das Personal der Straßenbahn von der Aufnahme der Arbeit abzuhalten. Aus Esslingen meldete die Stuttgarter Presse den vergeblichen Versuch, die Mitarbeiter der öffentlichen Verkehrsbetriebe zum Streik zu animieren. Als Hitler am 15. Februar 1933 in der Stuttgarter Stadthalle vor 10.000 Anhängern sprach, gelang es KPD-nahen NS-Gegnern, das Kabel für die Rundfunkübertragung mit einem Beil zu durchschlagen.

 

In Mössingen selbst gab es während der NS-Zeit nur noch wenige wirklich spektakuläre Aktionen. Zur Reichstagswahl im März 1933 war gut sichtbar auf einer Gartenmauer in der Langen Gasse die Parole zu lesen: „Wer Hitler wählt, wählt Krieg!“ Einige Mössinger verteilten Flugblätter der KPD, die aus der Schweiz ihren Weg ins Steinlachtal gefunden hatten. Nachdem das Unternehmen aufgeflogen war, wurden 1936 drei Mössinger, bei denen man auch noch Waffen fand, wegen „gegenseitig zum Lesen weitergegebener Flugblätter mit staatsfeindlichem und hochverräterischem Inhalt“ zu Gefängnisstrafen von zweieinhalb bzw. zwei Jahren verurteilt. Auch bei Jakob Textor und Paul Ayen, die ebenfalls an den Flugblattaktionen beteiligt waren, wurden Hausdurchsuchungen vorgenommen. Jakob Textor wurde nach zweimonatiger Untersuchungshaft aufgrund mangelnder Beweise wieder entlassen. Dagegen setzte sich Paul Ayen in die Schweiz ab und floh anschließend über Frankreich nach Spanien, wo er sich dem Kampf der „Internationalen Brigaden“ gegen den General und Diktator Franco anschloss. Auch der Belsener Wilhelm Steinhilber ging nach Spanien, um auf Seite der Linken zu kämpfen. Er fiel vor Madrid.

Ein Fall von „unbotmäßigem, provokativem Auftreten“ gegenüber NS-Anhängern im Dorf zeigt der Fall der Mössinger Hausfrau Friederike Müller, die im März 1933 von ihrer Nachbarin Emilie Maier angezeigt wurde, weil „die Müller ihre Kinder regelmäßig veranlasste, bei geöffneten Türen und Fenstern kommunistische Kampflieder zu singen.“ Der örtliche Polizeidiener sprach deshalb eine Verwarnung aus. Ein Lied der Kinder lautete: „Der Hitler goat a Gässle na, der Thälmann hinten drei, der Thälmann druck em de Gurgel zu, Heil, Heil, Heil“.

Während des Zweiten Weltkriegs hörten Mössinger KPD-Anhänger häufig „Feindsender“ ab. Immer wieder waren einzelne Oppositionelle auch unvorsichtig und äußerten staatsfeindliche Parolen. Der Mössinger KPD-Anhänger Martin Haap, den alle nur den „Zimmermann Haap“ nannten, wurde wegen des Vorwurfs der „Wehrkraftzersetzung“ verhaftet. Er hatte einer mit militärischen Übungen beschäftigten HJ-Gruppe in den letzten Kriegsmonaten zugerufen: „Ihr Buaba, wo wollet ihr na? Geh Russa fanga? Da send ihr scho lang z’spät dra!“ Einer der Jugendlichen zeigte ihn an und er wurde zum Tode verurteilt. Bis zur Vollstreckung des Urteils wurde er im KZ Welzheim inhaftiert. Das Todesurteil sollte in Berlin bestätigt werden, ging aber in den Wirren der letzten Kriegswochen verloren.